Ok, ich gebe zu, die olympischen Spiele sind bereits vorbei, doch ein bitterer Nachgeschmack bleibt leider Gottes in Bezug auf das Gastgeberland China.
Der Computer-Experte "Stryde" hat sich in einem eigens angelegten Blog einem der Bauchgrimmen-Gründe angenommen und mal versucht, die Hintergründe digital zu erforschen. Der Blog-Name impliziert zwar illegale Aktivitäten, aber in der Tat hat er sich lediglich herkömmlicher Suchmaschinen-Technologie bedient.
Objekt seines Interesses ist die Geschichte um den höchststaatlichen Altersbetrug der Chinesin He Kexin. Die junge Turnerin gewann in Peking mehrfach Olympisches Gold. In ihrem im Jahr 2008 ausgestellten Reisepass ist als ihr Geburtsdatum der 01.01.1992 angegeben, womit sie mit hoher Genauigkeit gerade alt genug für die Teilnahme an den Olympischen Spielen in ihrer Sportart wäre, nämlich 16 Jahre.
Nun gibt es jedoch das Gerücht, dass sie eigentlich erst 14 ist - so wurde sie 2007 von einem chinesischen Sportfunktionär als "das 13-jährige Talent" vorgestellt. Hier setzt Stryde an und recherchiert.
Und was er findet, geht über den eigentlichen Regelverstoß hinaus.
So war unter Anderem auf den Seiten der chinesischen Sportbehörde wohl in der Vergangenheit eine Registrierungsliste von betreuten Sportlern des kommunistischen Regimes online, in der das Geburtsdatum der Turnerin tatsächlich auf den 01.01.1994 lautet. Die zugehörigen Excel-Dokumente sind jedoch nicht mehr auf dem Server zu finden, sondern nur noch im Cache, dem Zwischenspeicher, der doch nicht so allwissenden Müllhalde.
Doch das ist noch nicht alles: in der gecachten Version fehlt He Kexin's Eintrag - obwohl er im Such-Resultat zu sehen ist. Stryde suchte weiter - diesmal auf einer unabhängigen chinesischen Suchmaschine. Und fand die selben Dokumente - mit unmanipulierter Cache-Version.
Diese Version veröffentlichte er mit seinen weiteren Ergebnissen in seinem Blog und bat um die Mithilfe der Netz-Gemeinde: die vermutlich ursprüngliche Dokumenten-Version solle doch bitte vervielfältigt werden, um der offensichtlichen Zensur der chinesischen Regierung zu entgehen.
Einen Tag später fehlten Such-Ergebnisse plötzlich ganz - die gewaltige Bürokratie hinter der "Great Firewall of China" war in Gang geraten und hatte z.B. bei Google das Lösch-Urteil vollstreckt. Eine solche Löschaktion erlebte Stryde sogar live mit: Unterschiedliche Trefferdichte vor und nach dem Frühstück - Resultate verschwanden binnen Stunden.
Ein erschreckender Vorgang.
Auf der unabhängigen chinesischen Suchmaschine fielen die Resultate einige Tage später aus, was sich jedoch auch aus dem in Caches oftmals verwendeten automatischem Aufräumen erklären könnte (die Original-Seite des Suchresultats war immerhin augenscheinlich schon länger nicht mehr online, weshalb die Suchmaschine von mangelnder Relevanz ausgehen musste).
Ob sich das IOC mit den gefundenen Betrugs-Indizien beschäftigen wird, ist dem Autor nicht bekannt, und auch Stryde hatte wohl nie das Ziel, die Wahrheit hinter He Kexin's Reisepass-Geburtsdatum herauszufinden.
Vielmehr hat er dokumentieren können, was Information im Zeitalter der digitalen Dokumente Wert ist, und wie leicht Fälschungen und Manipulationen heute fallen, besonders, wenn sie staatlich verordnet sind.
Sofort sollte das Mem aus Orwells "1984" an die Oberfläche der Gedankenwelt des geneigten Lesers schweben: das Bild des Angestellten im öffentlichen Dienst, der sich den ganzen Tag lang damit beschäftigt, archivierte Information zu fälschen, um sie dem aktuellen politischen Leitbild anzupassen. Auf Knopfdruck lassen sich ganze Geschichtskapitel umschreiben. Aus dem alten Freund und neuen Feind kann ein Feind werden, der schon seit Anbeginn der Zeit gegen den Großen Bruder konspiriert, ja selbst politische Grenzen auf der Landkarte lassen sich mit einem Klick um Kilometer ins Feindesland verschieben, und plötzlich hat auch das gemeine Volk einen Grund, das soooo lang verlorene Gebiet gewaltsam zurückzufordern.
Das mag ein extremes Gedankenexperiment sein, doch in Kombination mit dem Verbot von Freier Information ist es durchaus möglich.
Stryde tut gut daran, eine Art Internet-Notar vorzuschlagen, der auch bei digitalen Dokumenten persistente Versionen signiert und veröffentlicht bzw. speichert - um digitale Information dauerhaft nachprüfbar zu halten. In Zeiten von "digitalen Kontoauszügen" sollte es jeden interessieren, wie stabil die Informationswelt um ihn herum eigentlich ist.
Ein weites Feld, auf dem der letze Schuss noch nicht gefallen ist.
Montag, 25. August 2008
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1 Kommentar:
Hochinteressanter Beitrag!
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